Der deutsche Kommunist Werner Eggerath (1900-1977) hatte die Nazizeit überlebt. Grausame Folterungen durch die SS und Gestapobüttel hatte er überstanden. Doch er schwieg, und seine Genossen verrieten ihn nicht. Dennoch war er vom Volksgerichtshof wegen angeblichen Hochverrats zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Nur mit knapper Not entging er der Vernichtung im Konzentrationslager. Als endlich die Sowjetunion mit beinahe widerwilliger Unterstützung durch die Westmächte und unter großen Opfern Europa von der braunen Pest des Feschismus befreit hatte, kehrte auch Eggerath ins Leben zurück. Städte und Dörfer waren oft völlig zerstört, Millionen Menschen in halb Europa litten unter Obdachlosigkeit, Hunger und Elend. Das Hitlerregime hatte ein unübersehbares Leichenfeld und ein wirtschaftliches Chaos hinterlassen. Die Menschenverachtung der Nazis war ohnedies kaum zu überbieten gewesen. Noch in den letzten Tages des Krieges hatte Hitler verkündet: Aber wenn wir selbst nicht siegen können, so werden wir selbst untergehend noch die halbe Welt mit uns in den Untergang reißen. In seinem 1965 erschienenen Buch Quo vadis Germania? schreibt Werner Eggerath über die ersten Aufbaujahre in der DDR:
Eine jahrhundertealte Sehnsucht
Wenn ich an unsere Republik denke, an deren Bau ich ein ganzes Leben lang mitwirkte, steht das Bild eines kraftvollen, im mütterlichen Erdreich fest verwurzelten Baumes vor mir. Ja, sie wurde wohl erst 1949 offiziell gegründet, doch in klaren oder noch verschwommenen, in wissenschaftlich begründeten oder utopischen Vorstellungen lebte sie schon jahrhundertelang in den Herzen und Hirnen sowohl der Arbeiter und Bauern als auch unserer Dichter und Denker, bevor sie Gestalt annahm. Wenn die Bauernheere vor mehr als vierhundert Jahren sangen: »Wir wollen mit Tyrannen raufen!«, so schwang darin der Wille, neue Verhältnisse herbeizuführen, in denen die arbeitenden Menschen selbst das Leben der Gemeinschaft formten, wo das Sinnen und Trachten des einzelnen mit dem des ganzen Volkes zusammenfließen sollte, um allen Brot und Sicherheit vor den Unbilden des Lebens zu geben. »Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch!« Zorn und Empörung wallte in dem Weberlied; aber nach dem »Altdeutschland« der grenzenlosen Ausbeutung und Unterdrückung sollte ein neues kommen., ein Deutschland, das von denen gestaltet wird, die Tag für Tag Werte schallen, in dem das Leben hell, der Hunger unbekannt ist. »Wacht auf, Verdammte dieser Erde!« wie ein Fanfarenstoß rief die neue Marseillaise, die Internationale, zum Sturm auf die Festen der Klassenherrschaft, rief auf, »alles zu werden« und damit die Träume und Hoffnungen vieler Generationen zu verwirklichen.
Mit Demagogie und Terror gegen die Arbeiterklasse
Aus all dem spricht das tiefe Sehnen nach Geborgenheit, nach einer menschlichen Gesellschaft, nach einem Vaterland, das Frieden und sozialen Wohlstand garantiert, das seine Produktivkraft auf die Entfaltung der Wissenschaft und der Künste verwendet, in dem jeder geachtet wird, der sein Teil zum Ganzen beiträgt. »Die Arbeiter haben kein Vaterland« wie schroff und doch zutiefst wahr ist die knappe Feststellung im Kommunistischen Manifest!
Karl Marx
Nein, das konnte kein Vaterland sein, in dem die schöpferische Arbeit das, was den Menschen erst zum Menschen, was ihn groß und schön macht zur tierhaften Fron erniedrigt war. Das konnte kein Vaterland sein, in dem die Arbeitskraft zur Ware herabgewürdigt, gekauft und verkauft, wo der Mensch wie eine ausgepreßte Zitrone auf die Straße geworfen wurde, wenn er für den Käufer nicht mehr genügend hergab. Das konnte kein Vaterland sein, das die Blüte der Nation auf die Schlachtfelder und in die Massengräber trieb, in Raub- und Eroberungskriegen brutal zerstörte, was fleißige Hände in Jahrzehnten schufen. Die Ausbeuter wußten und wissen nur zu gut um die tiefe Sehnsucht der Volksmassen nach nationaler Würde, nach einem echten Vaterland. Mit Lüge, Betrug und Demagogie verstanden sie es stets, diese hehren Begriffe für ihre Klasseninteressen zu verfälschen und auszunutzen. »Schutz und Verteidigung des Vaterlandes!« so deklarierten sie ihre Raubzüge und die Unterdrückung anderer Völker. »Rettet das Vaterland vor den vaterlandslosen Gesellen!« so tarnten sie ihren Terror gegen die Arbeiterklasse und deren revolutionäre Vorhut. (…)
Menschen seid wachsam!
Glühende Worte möchte ich finden, um jedem einzelnen der jetzt heranwachsenden Generation eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens in das Bewußtsein einzuprägen: Wenn die Imperialisten über den Rundfunk, in der ihr hörigen Presse oder wo es auch sei von Vaterland und Nation sprechen, dann seid auf der Hut! Dann handelt es sich um Betrug, dann geht es um den Expansionsdrang einer winzig kleinen Minderheit, dann geht es gegen die Lebensinteressen unseres Volkes. Diese profitsüchtigen Beutejäger schrecken vor keinem Verbrechen zurück; davon zeugen die Gebeine von sechzig Millionen Menschen, die Opfer der grausamen, von den Imperialisten in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts organisierten Gemetzel wurden. Diese sechzig Millionen können nicht mehr sprechen, aber ihr Vermächtnis verpflichtet uns Überlebende, immer wieder zu warnen und zu mahnen: Seid wachsam! (…)
Das Wichtigste ist der Frieden!
Wer zwei Weltkatastrophen miterlebte, der fragt sich besorgt, ja entsetzt, wie es überhaupt möglich werden konnte, daß die militärisch geschlagene Monopolbourgeoisie erneut die Gefahr eines Weltbrandes über unser Volk und die Völker Europas heraufbeschwört. Diese Frage steht vor jedem patriotisch gesinnten Deutschen, sie steht ganz besonders vor der deutschen Arbeiterklasse, vor den sozialdemokratischen und kommunistischen, vor den christlichen und parteilosen Arbeitern in Westdeutschland. Eins dürfte heute jedem klar sein: Wäre durch das gemeinsame Handeln aller Volksschichten die Erfüllung des Potsdamer Abkommens in ganz Deutschland erzwungen worden, dann ginge heute von deutschem Boden keine Bedrohung des Friedens aus, dann wäre die nationale Frage für das ganze deutsche Volk gelöst! Wie viele folgten in zehn grauenvollen Kriegsjahren blindlings oder in dem Glauben, für »Volk und Vaterland« das Leben zu opfern, den Würgern unserer Nation! Bedarf es großer Phantasie, um sich vorzustellen, wie Deutschland heute aussähe, wenn die Massen unseres Volkes nicht den Händlern des Todes geglaubt hätten, sondern den Weg gegangen wären, den Karl Liebknecht und Ernst Thälmann wiesen?
Und Werner Eggerath schreibt weiter:
Vaterland das ist der Inbegriff des Friedens und der Völkerfreundschaft, einer wahren Demokratie, einer echten Menschengemeinschaft, bedeutet Bildung und Kultur, Glück und Frieden für das ganze Volk. Klar und einleuchtend haben Karl Marx und Friedrich Engels den Weg zur Verwirklichung dieser großen Ideale gezeigt. Im Manifest der Kommunistischen Partei riefen sie die Arbeiter auf, sich zur führenden Klasse der Nation zu erheben, für den demokratischen Weg zur Einigung Deutschlands zu kämpfen. (…)
Arbeiter im Stahlwerk
Seitdem beschritt die Arbeiterklasse unter Führung ihrer marxistischen Partei zielbewußt, ungeachtet vieler Rückschläge, zahlloser Opfer, aber auch mancher Fehler und Enttäuschungen, diesen Weg. In erbitterten Streikkämpfen, in Demonstrationen, in der aufopferungsvollen Arbeit Hunderttausender Mitglieder der Arbeiterparteien und der Gewerkschaften ist auch der Kampf für die Heimstatt einer friedliebenden, gebildeten und geachteten deutschen Nation eingeschlossen. Ihr Ringen um die soziale Befreiung der Ausgebeuteten entsprach den nationalen Interessen unseres Volkes; denn die Befreiung aus den Fesseln der Klassengesellschaft bedeutet letztlich die Befreiung von dem Alpdruck imperialistischer Kriege.
Wer sein Volk liebt, wer sich vor seinem Gewissen verpflichtet fühlt, neues Unheil von unserer Heimat abzuwenden, der muß seine ganze Kraft einsetzen, um allen Menschen die Erkenntnis zu vermitteln: Solange das Volk von der Großbourgeoisie beherrscht und unterdrückt wird, solange die von den arbeitenden Schichten geschaffenen Reichtümer für sinnlose Aufrüstung und Eroberungskriege verschleudert werden, solange kann dieses »Vaterland« der Monopolherren und Militaristen nicht das Vaterland der werktätigen Menschen sein! [1]
Anmerkung:
Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nach Berechnungen amerikanischer Institute brachten die ersten drei Kriegsjahre der amerikanischen Rüstungsindustrie einen Gewinn von 110 Milliarden Dollar ein. Die Milliardäre in der Wallstreet konnten umgerechnet für jeden gefallenen amerikanischen Soldaten 120.000 Mark auf ihr Konto verbuchen. Sie verdienten damit in einem Kriegsjahr mehr als in fünf Friedensjahren! Und weiter dokumentiert Werner Eggerath: Anglo-amerikanische Bomber warfen während des Zweiten Weltkriegs fast 2,5 Millionen Tonnen Sprengmaterial über Europa ab, Brandbomben und Phosphorkanister nicht eingerechnet. Dadurch zerstörten oder beschädigten sie in 61 deutschen Großstädten rund 3.600.000 Häuser und machten 7,5 Millionen Menschen obdachlos. Noch im Februar 1945, als der Krieg längst entschieden war, vernichtete ein solcher Terrorangriff fast die ganze Innenstadt Berlins; in der Schreckensnacht vom 13. zum 14. Februar kamen in Dresden, das mit Hunderttausenden von Zwangsevakuierten aus den östlichen Gebieten überfüllt war, über 35.000 Menschen auf grausamte Weise ums Leben. Die herrliche, an Kulturdenkmälern reiche Stadt verlor von ihren 220.000 Wohnungen etwa 80.000, die völlig zerstört, und 75.000, die schwer beschädigt wurden; der Verlust kostbarer Kunstschätze ist unermeßlich. Wie entsetzlich ist die Schuld, die vor allem die herrschende Klasse in Deutschland durch ihre bestialische Politik, durch den Raubkrieg auf sich lud! [2] Das Buch ist trotz seiner zeitgeschichtlich bedingten Unzulänglichkeiten hinsichtlich der Ereignisse des ausgehenden 20.Jahrhunderts auch heute noch als ein wertvolles Lehrbuch über die Zusammenhänge und Hintergründe der deutschen Geschichte anzusehen. Es ist leicht geschrieben, wissenschaftlich genau, und doch einfach und verständlich. Zahlreiche Beispiele aus eigenem Erleben und historische Fakten illustrieren die Geschichte. Und die Begeisterung des Autors für die neue Zeit, den Sozialismus, überträgt sich auf den Leser. In diesem Sinne ist es ein autobiographisches Buch. Bemerkenswert sind die einfühlsamen Zeichnungen von Prof. Kurt Zimmermann. Empfehlung: absolut lesenswert !
Quelle:
[1] Werner Eggerath: Quo vadis, Germania?, Urania Verlag Leipzig/Jena/Berlin, 1965, S.435-444. (erhältlich bei booklooker –> hier)
[2] ebd., S.299f.
Zeichnungen: Kurt Zimmermann (Nationalpreisträger)